16.01.2024 Unwort „Remigration“ Kommentar von Christian Spieß zum Unwort des Jahres

„Remigration“ wurde zum Unwort des Jahres 2023 gewählt. Die Jury begründet ihre Entscheidung damit, dass der Ausdruck „in der Identitären Bewegung, rechten Parteien sowie weiteren rechten bis rechtsextremen Gruppierungen zu einem Euphemismus für die Forderung nach Zwangsausweisung bis hin zu Massendeportation von Menschen mit Migrationsgeschichte geworden“ sei (Pressemitteilung der Sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres, 15.01.2024). Im Jahr 2023 sei der Ausdruck „als rechter Kampfbegriff, beschönigende Tarnvokabel und ein die tatsächlichen Absichten verschleiernder Ausdruck verwendet“ worden.

Wortgebrauch der Neuen Rechten

Als „Remigration“ wird im wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Sprachgebrauch in einem allgemeinen Sinne die Rückkehr von Personen an ihren ursprünglichen oder biografisch angestammten Aufenthaltsort bezeichnet, wenn sie sich in Folge einer Emigration für längere Zeit an einem anderen Ort befunden haben. In einem spezielleren Sinne der zeitgeschichtlichen Erforschung des Nationalsozialismus bzw. der NS-Exilforschung wird mit Remigration die Rückkehr von Personen aus dem Exil bezeichnet. Seit einigen Jahren wird der Ausdruck gezielt von Akteuren der Neuen Rechten – etwa der Identitären Bewegung und rechtsextremen Parteien sowie in Publikationen des politisch rechten Spektrums – verwendet, um das migrationspolitische Projekt der massenhaften Rückführung oder Deportation von drei großen Personengruppen zu beschreiben: von Asylbewerber:innen, von Menschen ohne gültigen Aufenthaltstitel und von Personen (auch mit deutscher Staatsbürgerschaft) mit Migrationsgeschichte, die sich nicht in ausreichendem Maße assimiliert haben. Maßgeblich für ein als hinreichend erachtetes Maß an Assimilation sind dabei kulturalistische, ethnische, wirtschaftliche Gesichtspunkte. Häufig genannt wird eine nicht-westliche kulturelle Prägung, die Zugehörigkeit zum Islam, eine afrikanische oder orientalische Herkunft etc., die als mit der kulturellen Identität des Westens, Westeuropas bzw. einer nationalstaatlichen Identität etwa Deutschlands oder Österreichs unvereinbar identifiziert werden. Die Unwort-Jury verweist dementsprechend darauf, dass der Wortgebrauch der Neuen Rechten darauf abziele, „kulturelle Hegemonie und ethnische Homogenität zu erlangen“. „Das Eindringen und die Verbreitung des vermeintlich harmlosen und beschönigenden Ausdrucks in den allgemeinen Sprachgebrauch führt zu einer Verschiebung des migrationspolitischen Diskurses in Richtung einer Normalisierung rechtspopulistischer und rechtsextremer Positionen.“ (Pressemitteilung Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres, 15.01.2024) Aus sozialethischer Sicht lassen sich folgende Probleme der zunehmenden Verwendung des Ausdrucks „Remigration“ und der Etablierung von Konzepten der „Remigration“ im Sinne einer massenhaften Zwangsrückführung von Menschen mit Migrationsgeschichte zusammenfassen:

Inflationäre und offensive Verwendung des Ausdrucks "Remigration"

(1.) Umdeutung des Begriffs: Durch die häufige Verwendung und Wiederholung durch die Neue Rechte wurde der zunächst ein freiwilliges Migrationsphänomen beschreibende Ausdruck mit der neuen Bedeutung einer Zwangsumsiedlung versehen. Das entspricht der Strategie der Identitären Bewegung, belastete und negativ konnotierte Ausdrucksweisen zu vermeiden und positive oder neutrale Begriffe zu besetzen. So erklärt sich auch, dass etwa nach der am 10.01.2024 veröffentlichten Correctiv-Recherche über ein Treffen rechter Akteure bei Potsdam „Remigration“ als migrationspolitisches Ziel etwa seitens der AfD meist nicht zurückgewiesen wurde (selbst wenn sie sich von jenem Potsdamer „Geheimtreffen“ distanzierte), sondern positiv aufgenommen wurde. Für die Neue Rechte laufe „insoweit alles nach Plan“, kommentiert Patrick Bahners die beinahe inflationäre und jedenfalls offensive Verwendung des Ausdrucks Remigration in der FAZ vom 12.01.2024.

Gefahr der Normalisierung restriktiver Migrationspolitik

(2.) Rechte Normalisierung des migrationspolitischen Diskurses: Patrick Bahners spricht dort auch das damit verbundene Normalisierungsphänomen an. Indem die Rede von „Remigration“ über den Kreis der Neuen Rechten Eingang in den allgemeinen oder zumindest weiteren Sprachgebrauch findet, werden auch entsprechende migrationspolitische Überlegungen Teil des Mainstream-Diskurses. Rechte Konzepte der „Remigration“ gingen, so Bahners, „an vielen Stellen nur ein oder zwei Schritte über die migrationspolitischen Planspiele der Ampelkoalition und der Unionsparteien hinaus. Ein ‚Musterstaat‘ […] in Afrika – das ist erst einmal nur die konsequentere Variante des Projekts der Stabilisierung Libyens oder der als kolonialistisch kritisierten Ruanda-Pläne von Rishi Sunak und Jens Spahn. Assimilationsdruck – für Linnemann-CDU und Giffey-SPD kein Tabu.“ Und dem Zur-Disposition-stellen der deutschen Staatsbürgerschaft in den Remigrations-Konzepten entspreche das „Vorhaben des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann, Straftätern mit zwei Pässen die deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen; nach dem 7. Oktober fand auch die Idee Resonanz, den Antisemitismus durch Passentzug bei Doppelstaatlern zu bekämpfen.“ Man mag darüber streiten, ob die „ein oder zwei Schritte“, die die „Remigration“ über solche Ideen hinausgeht, nicht doch ganz entscheidende Schritte sind – eine Normalisierung von bis vor kurzem noch kaum vorstellbaren Vorschlägen einer restriktiven Migrationspolitik ist aber offensichtlich.

Narrativ des "Bevölkerungsaustauschs"

(3.) Rassistische Einschränkung von freiheitlichen und bürgerlichen Rechten sowie des Gleichheitsgrundsatzes: Konzepte der „Remigration“ stellen einen Angriff sowohl auf freiheitliche Grundrechte – etwa auf das Recht auf Asyl und auf faire Rechtsverfahren – dar; und sie stellen einen Angriff auf bürgerliche Grundrechte dar – insbesondere auf das Staatsbürgerschaftsrecht. Es ist gewissermaßen die Pointe der „Remigration“, dass nicht „nur“ das Asylrecht restriktiv ausgelegt und angewandt sowie „konsequent abgeschoben“ wird, sondern dass auch die Rechtsansprüche für bestimmte Menschen reduziert werden, der Gleichheitsgrundsatz nicht mehr gilt und sogar das Staatsbürgerschaftsrecht in großem Stil (die Rede ist, etwa in den zahlreichen Veröffentlichungen zur Remigration im Medium „Compact“, stets von mehreren Millionen betroffenen Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft) in Frage gestellt wird. Auch wenn man bestimmte Entwicklungen im Bereich der Migration und der Asylpolitik, etwa die Belastung von Kommunen, als problematisch erkennen mag, sind die freiheitlichen und die bürgerlichen Rechte sowie der Gleichheitsgrundsatz für alle zu gewährleisten. Die rechten Konzeptionen der „Remigration“ gehen dagegen von einem Narrativ des „Bevölkerungsaustauschs“ aus, der mit der Zwangsumsiedlung von Menschen mit Migrationsgeschichte bekämpft werden soll, um einen gesellschaftlichen Zustand relativer ethnischer Homogenität (wieder)herzustellen. Rechte werden also an völkische Zugehörigkeitsideen, die Einschränkung von Rechten wiederum an die oben bereits genannten Gesichtspunkte der kulturellen Zuschreibung oder der Herkunft oder der Religionszugehörigkeit etc. geknüpft, also letztlich rassistisch eingeschränkt.

Neues Heft "Amosinternational" zum Thema Migration

Mit der Debatte um den Ausdruck „Remigration“ befinden wir uns mitten in einem „Kampf um Deutungs- und Bedeutungshoheiten“, der „jedoch längst nicht abgeschlossen“ ist, „so er das denn auch jemals sein kann. Gerade die Rechtsextremismus begünstigenden Faktoren wie eine steigende Akzeptanz von undemokratischen und antiegalitaristischen Einstellungen in der Gesellschaft lassen jedoch die Chancen auf einen veränderten, differenzierten, respektvollen und solidarischen Diskurs aktuell eher in die Ferne rücken. Dringend notwendig ist es daher, zu intervenieren und (diskursiv) gegenzusteuern. Dies bedeutet freilich zuallererst, rechtsextreme Artikulationsformen erkennen und dechiffrieren zu können, um sie als solche auch zu benennen.“ (Judith Goetz, Die identitäre Kaperung eines Begriffs, in: Der Standard vom 13./14.01.2024) Gerade in migrationspolitischen Diskursen, dem das Heft 1 (2024) von Amosinternational gewidmet ist, ist dieses Benennen und Dechiffrieren von rechtsextremen Artikulationsformen, zu denen auch das „Kapern“ des Begriffs der „Remigration“ und die Etablierung entsprechender politischer Konzeptionen gehört, notwendig – und Ruprecht Polenz, dem Gastjuror der Unwort-Jury zuzustimmen (Pressemitteilung der Sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres): „Der harmlos daherkommende Begriff Remigration wird von den völkischen Nationalisten der AfD und der Identitären Bewegung benutzt, um ihre wahren Absichten zu verschleiern: die Deportation aller Menschen mit vermeintlich falscher Hautfarbe oder Herkunft, selbst dann, wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Nach der Wahl zum ‚Unwort des Jahres‘ sollte diese Täuschung mit Remigration nicht mehr so leicht gelingen.“

Christian Spieß, Linz